OHNE TITEL

OHNE TITEL
Alexander Schellow
Experimentalfilm / Animation
2013 | DE | 50’ | B&W und Farbe | Stereo
index.film, Films de Force Majeure

Team
Presse

Ohne Titel folgt einer Praxis des Erinnerns an eine Person, die sich nicht mehr erinnert, und konzentriert sich auf die unaufhörlichen Bewegungen in einem Gesicht, das Gesicht bleibt und zugleich Landschaft wird. Frame für frame aus dem Gedächtnis rekonstruiert folgt die Animation den feinen Veränderungen der Oberfläche in der Zeit – versucht die Rückerarbeitung einer Begegnung mit einer 96 Jahre alten Frau, die in einer Alzheimer-Klinik in Berlin lebt.
Der Film entfaltet sich in gegeneinander geschnittenen Sequenzen dieser Animation und mit stehender Kamera gefilmter Aufnahmen von Orten, heute, entlang einer gebrochenen Linie: Letztere tragen oder tragen nicht (mehr) die Spuren ihrer Vergangenheit – wir sehen ein Haus, eine Strasse, einen Weg. Die Filmbilder werden in einem Voice-over durch Erzählungen und Anekdoten aufgeladen, die eher auf die Orte selbst als auf ihre konstruierbare biographische Bedeutung verweisen und die jedenfalls nie in direkter Verbindung mit der Frau der Animation stehen – sie“ kommt in der ebenso sehr konkreten wie fragmentarischen Geschichte nicht vor, sie erscheint als deren Lücke, als blinder Fleck. Der Zuschauer beginnt so in schrittweise Assoziationen ihre mögliche Biographie ohne „sie“ zu entwickeln. Diese selbst ist voller Lücken und Unvereinbarkeiten, generisch für ihre Zeit in manchen Aspekten und sehr spezifisch zugleich: großbürgerliches Leben im Baltikum, ein Weg, ein Ententeich, ein Haus in Königsberg gebaut von Muthesius, Russland (die Herkunft ihres Mannes), die Passage des kurischen Haffs (gefroren im Winter), Migration Polen, das deutsch-polnische Grenzgebiet, Flüchtlingslager in Deutschland, Waisenhaus, Hannover – Mercedes Benz, die Philharmonie, ein Wohnhaus in der „alten“ Südstadt und schließlich Berlin Zehlendorf, vielleicht eine Klinik. Die Bilder springen in Jahres- und Tageszeiten, immer aber zeigen sie Portraits der Orte in einer inneren Distanz, als ein kühler Blick auf ihr „Heute“.
Indem hier eine Realität zwischen Ab- und Anwesenheit konstituiert wird, bietet sich dem Zuschauer die Erfahrung eines singulären face à face – einer Begegnungsform, die sich in der Dauer zunehmend intensiv und beschreibbar als eine Form der artikulierten Stille entfaltet. Was sich abzeichnet, sind hauptsächlich Augenblicke eines ‚gerade davor’: einer Wahrnehmung, eines Gedankens, einer Erinnerung. Das Individuum scheint in dieser Zone fast zu verschwinden. Und doch ist das, worauf die Spur einer ununterbrochenen mentalen Bewegtheit verweist, nicht primär eine Leerstelle – weder von Identität, noch von Bedeutung. Im Gegenteil: die Zeichnungen behaupten und bilden, materiell, einen Gedächtnisraum ohne Erinnerung.

Ohne Titel als Praxis und Prozess nimmt eine Reihe verschiedener Formen an.
Im Zentrum steht die Produktion des experimentellen Animationsfilms OHNE TITEL.
Ohne Titel (FRAGMENT) ist eine Installation auf der Basis eines Fragments der Animation (4’37’’ ohne Sound) und wird in einer kürzeren Screening-Fassung (Ohne Titel’) u.a. im Rahmen des human frames-Programmes von LOWAVE distribuiert, während OHNE TITEL (LIVE) als eine Performance, die eine Projektion in Echtzeit entwickelter Zeichnung/Animation mit musikalischer Improvisation verknüpft.

Team

Realisation / Konzept / Animation: Alexander Schellow
Konzept / Projekt Kollaboration: Marie Urban
Ausführender Produzent: Jean-Laurent Csinidis
Koproduzenten: Alexander Schellow, Marie Urban
Produktion: Films de Force Majeure, index.film
Koproduktion: La Biennale de Lyon (2011)
In Kooperation mit: Catalogue du sensible, Le GRIM (Scène musicale de Montevideo // Marseille)
Mit freundlicher Unterstützung von: Mécènes du Sud et de Zukunftskolleg (Université de Konstanz)